Nach den Radierzyklen »Hanno 's Tod« und »Carnevale di Venezia« zeigt die Hamburger Kunsthalle mit »Hokusai 's Spaziergang« die dritte große Folge von Radierungen und Zeichnungen aus den Jahren 1971-72. Diese Arbeiten begleiten, ausgehend von einem Glückwunschblatt zu Neujahr des japanischen Holzschnittmeisters Hokusai (1760-1849), zwei theoretische Texte von Horst Janssen, das Kapitel »Über das Zeichnen nach der Natur« und das »Traktatüberr die Herstellung einer Radierung«. In einem Absatz dieses Traktates schreibt Janssen: »Ich habe neulich eine relativ exakte Kopie nach einem Hokusai-Holzschnitt radiert: perlenbewachender Drache. Beim Nachtasten der Vorlage entstand mir ein Landschaftsbild im Kopf: der Drache bildete sich zu einem kleinen Felsareal um in dem ein Bach oder eine Quelle fließt. Für die hier beabsichtigte Demonstration will ich diese Vorstellung verwirklichen: eine Felslandschaft in der Hokusai spaziert."
Am Beispiel der Landschaftsdarstellung und der Kopie legt Horst Janssen die Möglichkeiten der Radiertechnik dar. Die theoretische Ausführung der verschiedenen Arbeitsphasen erlaubte Janssen bei der praktischen Darstellung eine stilistische Freiheit, die ihm bei den vorhergehenden Radierfolgen noch nicht möglich gewesen war. So entstanden insgesamt 80 Blätter, die sich nicht alle unbedingt auf das Traktat beziehen, aber eine unmittelbare Reaktion auf das Thema sind. Diese Auseinandersetzung mit der Kunst der Alten Meister Europas und Ostasiens zeigt sich gerade in der Radierfolge von »Hokusais Spaziergang« in den »Anlehnungen« und Kopien nach Gavarni, Menzel, Klinger oder Illies.
Theoretische Abhandlungen von Künstlern wie Janssens »Traktat über die Herstellung einer Radierung« sind in der Druckgraphik der Gegenwart selten. Janssen schließt mit seinen Ausführungen er die Technik der Radierung daher mehr an eine Tradition von Künstlertexten an, die vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seit der Wiederentdeckung und der Neubelebung der Radierung den eigenen Arbeitsvorgang in ausführlichen Schriften erläutern. So erschien 1866 in Paris das »Traite de Ja Gravure a l'Eau-Forte« von Maxime Lalanne, eine bis heute gültige Abhandlung über die Praxis der Radierung. Lalannes Schrift war Janssen gewiss nicht bekannt, die erstaunlichen Übereinstimmungen beweisen jedoch, daß die Wertschätzung der Radierung sich bei den Künstlern im Laufe der Jahrhunderte nicht verändert hat.