Standpunkt: Klaus Hartmann

Scrollen
-

Socken Import

In seiner Straße auf St. Pauli fand Klaus Hartmann den offenbar vor geraumer Zeit in Konkurs gegangenen Strümpfe-Großhandel, in dessen Schaufenster alte Werbetafeln einstauben. Von »Socken Import« künden die Wortfragmente auf den alten Aufstellern, die an den Scheiben lehnen. Dazwischen kreuz und quer verteilt kleben bunte Zahlen, wie tote Fliegen, die sich mit der Zeit zwischen Dekoration und Fensterscheiben verfangen haben. »Das interessiert mich: solche Buden, die ein eigenes Leben haben, die zeigen, was sich Leute so alles ausdenken - und was die Zeit damit anstellt.«

In früheren Bildern knöpfte sich Klaus Hartmann sonntägliche Lebensräume vor: Kleingartenanlagen, Vergnügungsparks mit gigantischen Riesenrädern und Mäusezirkus, Strandhäuschen, Palmengärten. Doch sind diese Orte in seinen Bildern menschenleer. Keiner nutzt die kilometerlang verlegten Gleise, die monumental aufragenden Brücken, die sich bis in die Wolken streckenden Achterbahnen. Alle Fahrgeschäfte stehen still – fast scheint es, als könne man den eisigen Wind, der durchs Gestänge pfeift, sehen.

Die Gegenstände sind vertraut und leicht identifizierbar, doch in ihrer surreal anmutenden Kombinatorik und umfangen von einer eigenartigen Atmosphäre wirken Hartmanns Gemälde oft rätselhaft und traumverloren. Ein charakteristisch bleiches Licht steigert die leuchtende Farbigkeit der Bilder und entrückt sie zugleich. Es ist ein Winterlicht. Selbst wenn auf seinen Bildern Kirschbäume blühen oder Stiefmütterchen in großen Kübeln wuchern, die Luft in diesen atmosphärischen Bildern bleibt kühl.

In einer neuen Serie nimmt Klaus Hartmann Chinarestaurants ins Visier. Ihr auf den exotikhungrigen, keinen Geschmacksverstärker fürchtenden Weltläufer ausgerichtetes Dekorum ist austauschbar. Ob in Dessau, St. Pauli oder Amsterdam: überall die gleiche Corporate Identity, die zu sehr die Erwartungshaltung der Kunden spiegelt, als dass uns hier tatsächlich eine uns fremde Kultur vom anderen Ende der Welt begegnen könnte. Peking Ente steht für Sonntagsmittags-Ausgehen, für eine erste Begegnung mit einer fremden Kultur, einem Hauch von Fernost, der nach schwerer Bratensauce (süß-sauer) riecht.

Allesamt Erinnerungsbilder: Situationen, die an Kindertage erinnern, an Spielzeug, Freiräume, Ausnahmetage. An eine Zeit als große Dinge sehr groß erschienen und entfernte Orte ganz weit weg waren – und sich doch nah träumen ließen. Eine Zeit, die wir als Kinder keineswegs so golden schimmernd empfunden haben, wie wir sie uns inzwischen zurecht geschminkt haben. Eher unsicher, tastend, voller Neugier, doch bereits mit dem ersten Gefühl von Verlust im Bauch, ohne allerdings bereits zu wissen, wie man sich selbst darüber hinwegtäuschen kann. Vielleicht hängt die leise Melancholie, die Klaus Hartmanns Bilder trotz ihrer leuchtenden Farben und der Vielfalt an spielerischen Ornamenten haben, mit solchen Erinnerungen an eine verlorene Zeit zusammen.

In seinem Buch »Der Untenstehende auf Zehenspitzen« umschrieb Botho Strauß solchen Verlust mit den Augen eines Menschen, der längst weiß, dass er nicht das Maß aller Dinge ist, und der ein unsichtbares Maß über sich ahnt, das er jedoch nie erfassen kann. »Es ist, als ob die Tür, durch die man das Haus verließ, zur blinden Tür versteinerte. Man kommt nie wieder ins Haus zurück, Und auch dass man es durch diese Tür verlassen hätte, muss ein Traum gewesen sein.«

Zur Ausstellung erschien ein Katalog für 3 €