The Song of the Line

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Stephan von Huene. Zeichnungen aus fünf Jahrzehnten

Stephan von Huene (1932–2000), bekannt für seine audio-kinetischen Skulpturen, die er seit Mitte der 1960er Jahre konstruierte, war auch ein begnadeter Zeichner. Die Ausstellung The Song of the Line gibt erstmals einen Überblick über sein gesamtes zeichnerisches Œuvre. Der 1932 in Los Angeles als Sohn deutscher Immigranten geborene Künstler hatte nicht nur seit Mitte der 1950er Jahre bildende Kunst studiert, sondern absolvierte von 1963 bis 1965 auch ein Studium der Kunstgeschichte. Die künstlerische Praxis vereint sich in seinem Werk mit wissenschaftlichem Denken. Da von Huene bei seinen weit gespannten Forschungen auch Bereiche wie die Informations-, Kommunikations- und Sozialwissenschaften sowie die Mechanik und Elektrotechnik einbezog, sich intensiv mit dem Orgelbau beschäftigte und ab Mitte der 1980er Jahre auch mit Computertechnik arbeitete, ist es vor allem die Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit seiner Kunst, die überrascht und zu immer neuen Entdeckungen führt.

Schon im Studium, so von Huene in einem Interview 1990, »legte man allergrößten Wert aufs Zeichnen«. Damit konnte das Trickfilmzeichnen der Disney Brothers in Kalifornien ebenso gemeint sein wie die Zeichnungen der europäischen Moderne, vor allem das Werk Pablo Picassos. Besonders schätzte von Huene die damals sogenannte »Primitive Kunst«. Als Zeitgenosse erlebte er die Anfänge der Installationskunst eines Edward Kienholz und der Künstler der Beat Generation. In diesem kulturellen Kontext, nach langen Jahren akademischer Praxis und kunsthistorischer Studien zeichnete er mit Feder und Bleistift in den 1960er Jahren größere Konvolute von virtuos ausgeführten Arbeiten auf Papier. Diese unbetitelten Werke eröffnen mit ihren Tier-Mensch-Figuren einen panerotischen Bildkosmos voller Anspielungen auf mythologische Bildtraditionen verschiedenster Kulturen und Zeiten. In der Folge entstanden die sogenannten Rauchzeichnungen auf mit Ruß beschichteten Papieroberflächen. Sie zeigen mit dem Pinselstiel eingeritzte Körperdarstellungen und Abdrücke der Hände des Künstlers. Am Materialexperiment der Smoke Drawings wird der Versuch erkennbar, das Medium Zeichnung in die Dreidimensionalität zu überführen, ohne dafür Raumperspektiven einzusetzen.

Von Huene konzentrierte sich in den 1970er Jahren ganz auf die Weiterentwicklung der Klangskulpturen und setzte seine fulminant begonnene Laufbahn als Zeichner erst 1980 fort, als er sich in Hamburg niederließ. Mit routinierter und zugleich fein differenzierender Hand skizziert der Künstler in Collagen, auf losen Blättern und in Skizzenbüchern. So entsteht ein reiches Œuvre der Zeichnung, zu dem auch die Serie der ZEIT-Collagen (1980) gehört. Mit geklebten Zeitungsfragmenten und Handzeichnungen wirft von Huene einen analytischen Blick auf die Körpersprache bekannter Politiker, Literaten und Künstler. Diese Collagen sind auch das Ergebnis weit reichender Studien amerikanischer Kommunikationstheorien, die zentral für von Huenes Auffassung von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Funktionen waren.

Von Huene, der als engagierter Lehrer an verschiedenen Kunstakademien tätig war, schuf für die Vorbereitung oder im Kontext seiner Lehre zahlreiche Skizzen und Studien. In den 1980er Jahren entwickelte er eine besonders charakteristische Form der Zeichnung nordamerikanischer Provenienz weiter: die Mind Map, eine Art ‚Gedanken-Bild’. In diesen Schaltplänen der Erinnerung und des konzeptuellen Entwerfens wird von Huenes gedanklicher Kosmos ebenso sichtbar wie seine Entwurfsstrategien. In den Mind Maps des Getty Talk werden in chronologischer Abfolge seine Klangskulpturen mit den wissenschaftlichen Kontexten ihrer Entstehung vernetzt.

In den 1990er Jahren wandte sich der technisch versierte Künstler auch dem computergenerierten Zeichnen zu. Im Anschluss an den Bau seiner Skulptur Die Neue Lore Ley I (1990) entsteht die gleichnamige Serie von PC-Drucken. Die Blätter bezeugen den ebenso ernsthaften wie heiteren Versuch, die technisch bewegte Skulptur im digital definierten Bild zu reproduzieren. Lassen sich die Anfänge der Klangskulpturen auf die frühen Zeichnungen der 1960er Jahre beziehen, so führt am Beispiel der Lore Ley auch ein Weg von der Skulptur zurück zur Zeichnung.

Nach Hamburg wird die Ausstellung in der Stiftung Brandenburger Tor im Max Liebermann Haus, Berlin (14. 6. bis 25. 7. 2010) und im ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe (7.8. – 3.10.2010) gezeigt.