Gertrud Goldschmidt, genannt Gego (*1912 in Hamburg, †1994 in Caracas) zählt zu den bedeutenden Künstlerinnen Lateinamerikas. Vor allem bekannt wurde Gego für ihre netzartig angelegten Rauminstallationen, den so genannten Reticuláreas, die sie Ende der 1960er Jahre aus feinem Draht und Metall entwickelte. Gego mied für ihre dreidimensionalen Werke den Begriff Skulptur, da dieser traditionell über Masse und Volumen definiert wird. Ihr künstlerisches Bestreben war dagegen geprägt von einer größtmöglichen Transparenz und Leichtigkeit: Ihre Werke gleichen Strukturen und Zeichnungen im Raum, die aufgrund ihres filigranen Charakters die paradoxe Möglichkeit bieten, sie anzusehen als auch durch sie hindurchzusehen. Auch in vielfältigen Arbeiten auf Papier, in Druckgraphiken, Künstlerbüchern, Aquarellen und Handzeichnungen wird Gegos besonderes Interesse an der Linie als grundlegendes gestalterisches Element deutlich. Sie selbst hat dies einmal mit dem Satz „Line as object to play with“ ausgedrückt. Gego nutzte als ausgebildete Architektin ihr Wissen über geometrische Formen, Volumina und Körper im Raum als Grundlage für ihre künstlerischen Untersuchungen und gelang zu einer immer größer werdenden Freiheit und Autonomie der Linie.
Geboren in Hamburg im Jahr 1912, studiert Gego in den 1930er Jahren an der Technischen Hochschule in Stuttgart bei Paul Bonatz Architektur, bevor sie 1939 über England nach Caracas emigriert. Dort arbeitetet sie zunächst als Architektin und Möbeldesignerin, bevor sie – schon über vierzigjährig – sich der Kunst zuwendet. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit ist Gego als Professorin an der Architektur- und Städtebaufakultät der Universidad Central de Venezuela, an der Escuela de Arte Plásticas Rojas und an weiteren Hochschulen tätig. Bis ins hohe Alter entwickelt sie neue Werkserien. Sie stirbt 1994 im Alter von 82 Jahren.
Gegos revolutionäre und experimentelle Auffassung von Linie, Skulptur und Zeichnung im Raum wurde wegweisend für eine junge Generation von Künstlerinnen und Künstlern in Lateinamerika und prägte die zeitgenössische Kunst weit über Venezuela hinaus. Mit Gego. Line as Object bietet die Hamburger Kunsthalle nun eine seltene und in Deutschland in dieser Fülle erstmalige Gelegenheit, das in Europa bislang wenig bekannte Werk Gegos kennen zu lernen. Präsentiert werden rund 120 Skulpturen und Zeichnungen aus fast 40 Jahren und damit allen Werkphasen der Künstlerin, darunter sind die Werkserie Dibujo sin papel (Zeichnung ohne Papier), die kleinformatigen und spielerischen Bichitos (kleine Viecher), die netzartigen Reticuláreas und die späten Tejeduras (Webereien). Die Exponate sind Leihgaben aus dem Museum of Fine Arts, Houston, dem MACBA, Museu d’Art Contemporani de Barcelona, Privatsammlungen und der Sammlung der nach dem Tod der Künstlerin gegründeten Fundación Gego in Caracas.