Adolph Menzel (1815-1905) hat zwei Mal die Wand seines Ateliers gemalt: 1852 und 1872. Die frühe Fassung befindet sich in der Alten Nationalgalerie Berlin, die zweite Fassung gehört seit ihrer Erwerbung durch Alfred Lichtwark 1896 zu den Hauptwerken der Hamburger Kunsthalle. In der Ausstellung Adolph Menzel und Lois Renner ‑ Das Künstleratelier werden beide Fassungen einander gegenüber gestellt. Menzels Studie Pferdekopf liegend, im Geschirr von 1848 und neun großformatige Photoarbeiten des 1961 geborenen Malers und Photographen Lois Renner ergänzen die ungewöhnliche Zusammenstellung von Meisterwerken Menzels.
Menzels Bilder stehen für die moderne Ästhetik des Fragments. Ihren radikalen Bruch mit Bildkonventionen seiner Zeit hat Werner Hofmann, ehemaliger Direktor der Hamburger Kunsthalle, erkannt und das Bild als ein »verschlüsseltes Manifest« bezeichnet. Mit seinen gemalten Objekt-Assemblagen aus Bruchstücken setzte sich der malerische Autodidakt Menzel mit dem Motivrepertoire der Kunst von der Antike bis zur Gegenwart, von den bewährten Formen der klassischen Skulptur bis zu den Abgüssen nach der Natur auseinander.
Die Relativierung ästhetischer Kategorien wird in der unterschiedslosen Reihung der Gipsabgüsse augenfällig. Für Menzel besitzen die Dinge keine unterschiedlichen Wertigkeiten. Damit bildet er eine Voraussetzung für die »surrealistische Gegenstandskombinatorik« (Werner Hofmann), eine der wichtigsten künstlerischen Darstellungsweisen im 20. Jahrhundert.
Menzels Bilder von seinen Atelierwänden sind darüber hinaus Paraphrasen über die Vergänglichkeit. Die Bruchstücke sind als Zeichen des Todes und zugleich als Relikte für Erinnerung und Gedenken zu lesen. Zum einen dienen die Gegenstände des Ateliers als formaler Gedächtnisspeicher, zum anderen stehen sie in einem direkten Bezug zu Menzels Lebenskreis. Die zentral im Bild wiedergegebene und neben dem Frauentorso platzierte Totenmaske des mit Menzel befreundeten Kunsthistorikers Friedrich Eggers, der im Sommer 1872 gestorben war, verdeutlicht die im Bild enthaltene persönliche Beziehung. Sie macht aus dem in magischer Beleuchtung aufscheinenden Stillleben ein Gedenkbild.
Menzels Werke werden mit neun großen Photoarbeiten des 1961 in Salzburg geborenen und in Wien lebenden Künstlers Lois Renner konfrontiert. Renner thematisiert in seinen Arbeiten Malerei und Photographie gleichermaßen. Er baut die Motive seiner Photographien aus verschiedenen Fragmenten zusammen und inszeniert aus Einzelteilen eine neue Totalität. Sein Verfahren ist mit der Objekt-Assemblage in Menzels Atelierwand-Bildern, die für Renner einen hohen Anregungswert besitzen, vergleichbar.
Seit Anfang der 90er Jahre setzt sich Lois Renner kontinuierlich mit einem einzigen Thema auseinander: sein Atelier als Bühne für photographische Inszenierungen der Gattungen. Dabei geht es um Wechselspiele und Widersprüche zwischen Realität und Fiktion und um die Frage, welche Rolle die Wahrnehmung dabei spielt.
Mit großer Sorgfalt konstruiert Renner kulissenartige räumliche Szenen, die einen erzählerischen Zusammenhang andeuten, der sich allerdings nur in Ansätzen erschließt. Sein im Modell nachgebildetes Atelier wird im großen Format der Photographien wieder in ein annähernd originalgetreues Größenverhältnis übersetzt, das sich als Bildraum dem Betrachter öffnet. Lois Renner hat Malerei bei Gerhard Richter studiert und sich insbesondere mit dem Werk Adolph Menzels befasst. In seinen Atelier-Inszenierungen setzt er die Beschäftigung mit dem Thema Künstleratelier, das in Menzels Bildern eine radikale Modernität entfaltet, auf sehr individuelle Weise fort.