Horst Janssen

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Frühe Meisterschaft

Zum Selbstverständnis des Zeichners
Ein Blick in den Spiegel war gewöhnlich für Janssen das erste früh morgens am Arbeitstisch: »Na, wie sieht's aus heute? - wie ist die Stimmung? Heiterkeit, Trauer, Wehmut oder Wut? himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?« - Zwischen diesen »meinen geliebten Gegensätzen«, wie Janssen es nannte, spannten sich die zeichnerischen Pläne des Tages: ein Selbstbildnis, eine Landschaft, ein Stilleben konnte die Folge sein. Aber die Spiegelung empfindlicher Stimmungen in einem Stilleben, einer Landschaft oder in der Zeichnung verblühender Blumen konnte auch in die nahe Nachbarschaft von Selbstbildnissen treten; besonders deutlich, wenn solche Zeichnungen von Gedichttexten begleitet sind.

Die Vielfalt der Stimmungsqualitäten von Janssens Selbstbildnissen äußert sich in zahlreichen Inschriften auf den Zeichnungen, wie zum Beispiel: »Gefühl  des Hoffnungslosen - kein Grund, auch noch dies Gefühl zu töten«, »Diese albernen Anfälle«, »Abkotzen!«, »Total albern!«, »Kleines Affentheater«, neben dem Tod: »Ich heldisch!«, »Suff«, »Glücklich-gemütlich«, »Wieder Krach  mit Hegewisch!«, »Klappe halten!«, »Nachtrag auf eine scheußliche Woche«, »Dieser möchte ich nicht sein!«, »Ich erinnere mich an das kleinste Detail von Situationen, die ich nie erlebt habe!«, »An Baudelaire«, »Ge-Rändelt!« (mit Allonge-Perücke), »An Kyosai«, »Kuniyoshi war hier!«, »Das ich meines ichs zugleich!« (Novalis) und »Daß ich eins und doppelt bin!« (mit dem Gingo­ Blatt aus dem West-östlichen Diwan Goethes).
Janssen selbst notierte zu seinen imaginären Porträts: »Dann kommt freilich hinzu, daß es sich in fast allen Fällen um Irre und Kranke handelt. Säufer, Epileptiker, Größenwahnsinnige, die das sogenannte Leiden zur Stimulanz umkonstruierten. Ohne Schmerzen keine Euphorie. Und immer selber in Wut über die Gewöhnlichkeit ihrer Charaktere: Geiz Verschwendungssucht, eitle Angst eingebildetes Verantwortungsbewußtsein, Liebesverlangen - Arroganz, Mißgunst und Neid, eingeübter Großmuß - Tücke und Selbstmitleid und Selbstgefälligkeit und pi-pa-po. Kurzum: alles, was einen gewöhnlichen Sterblichen so menschlich macht - nur alles um einiges gesteigert und offensichtlich unheimlicher.
Bei solcher Betrachtung kann man sich wohl gut vorstellen, wie gerne gerade ich mit diesen Köpfen plaudere, wo doch durch den RUHM alle diese Mißlichkeiten des Gewöhnlichen ins Außergewöhnliche transportiert sind. Was nun das so oft zitierte GENIE betrifft: das Genie fühlt sich wohl am wohlsten im Menschen: ein Feuervogel im Drecksnest.«