Giovanni Domenico Tiepolo

Scrollen
-

Die Flucht nach Ägypten, 1750/53

Giovanni Domenico Tiepolo (1727-1804), Sohn und Mitarbeiter des berühmten venezianischen Malers und Freskanten Giovanni Battista Tiepolo, schuf während der gemeinsamen Arbeiten an den Fresken im Kaisersaal und im monumentalen Treppenhaus der Würzburger Residenz zwischen Dezember 1750 und November 1753 eine umfangreiche, 27 Blätter umfassende Folge von Radierungen zur biblischen Geschichte der »Flucht nach Ägypten«. Die Radierfolge entstand als Dank an den Auftraggeber in Würzburg, Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau, dem sie auch gewidmet ist. Der jüngere Tiepolo beabsichtigte,  in der Nachfolge des umfangreichen Radierwerks seines Vaters sein eigenes kompositorisches wie technisches Können unter Beweis zu stellen.
Bei dem Exemplar des Hamburger Kupferstichkabinetts handelt es sich um den zweiten Druckzustand, der neben einem Titelblatt und zwei Widmungsblättern 24 Episoden zur Flucht des Jesuskindes mit seinen Eltern Maria und Joseph vor dem Tötungsbefehl des Herodes nach Ägypten beinhaltet (Matthäus 2, 13-23). Die Blätter bilden innerhalb der Entwicklung des von Künstlern oft gestalteten Motivs einen Höhepunkt in der europäischen Graphik. Im spannungsreichen Wechsel von bildlicher Überlieferung und ideenreicher Weiterentwicklung wird die phantasievolle Ausdruckskraft Giovanni Domenico Tiepolos deutlich. Ihm geht es nicht um eine chronologische Abfolge der Erzählung, sondern vielmehr wird der Betrachter auf unerwartete Begegnungen mit einem ihm eng vertrauten Sujet eingestimmt. In immer wieder neuen, vielschichtigen Kompositionen werden nicht überlieferte, aber während der Reise denkbare Begebenheiten dargestellt. Die abwechslungsreichen Landschafts- und Architekturdarstellungen sowie die wie zufällig auftauchenden Staffagen sind stets in eine höchst ausgefeilte Bildordnung eingefügt, die mit ihren kühnen Zusammenstellungen äußerst modern wirken und künstlerisch bereits in das 19. Jahrhundert weisen. Es handelt sich nicht um eine stringente Bilderzählung, sondern eher im musikalischen Sinne um Variationen eines bekannten, traditionellen Themas, die neue Blicke auf ein gewohntes Sujet wagen.