Im Anschluss an die Ausstellung der Radierungen Canalettos im vergangenen Jahr zeigt das Kupferstichkabinett aus eigenen Beständen eine Auswahl von Blättern dreier Künstler, in deren Werk die italienische Graphik des Barock kulminiert.
Der Genueser Castiglione und der Neapolitaner Rosa sind sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Rom wohl auch persönlich begegnet. Dem »Genius« des Castiglione, der sich in seiner Radierung zwischen Verheißung des Ruhms und Zeichen von Fruchtbarkeit wie Vergänglichkeit in Szene setzt, hält Salvator Rosa seine Selbstdarstellung als Maler, Dichter und Philosoph entgegen unter dem Motto: »Aufrichtig, frei, feuriger Maler, zugleich gelassen, Verächter von Wohlstand und Tod, das ist mein Genius.« Genie bedeutet für beide Künstler die phantasievolle, dramatische Erweiterung des thematischen Repertoires von biblischer Geschichte, von Legende und Mythologie, zugleich philosophische Betrachtung von Weltlichkeit und Vergänglichkeit. Genie bedeutet zugleich den geistreichen Einsatz der Radiertechnik, mit dem sie ihre Motive hervorbringen und zugleich die Kunst ihrer Kunst erweisen, so Castiglione in der Variation von pittoresken Köpfen, Rosa in der Erfindung von Figurinen.
Daran hat ein Jahrhundert später der Venezianer Giovanni Battista Tiepolo in seinen »Capricci« und »Scherzi« anknüpfen können. Er macht die Radierung graphisch vollends schwerelos und inhaltlich unausdeutbar: dem inhaltlichen Schwebezustand zwischen Gegenwart und mythischer Vergangenheit, Zivilisation und Natur, Scherz und Ritual entspricht eine optische Verunsicherung bei aller »durchsichtigen« Logik der Mittel. So stellen Tiepolos Radierungen dar, was nur Graphik auszudrücken vermag.
Ein Rückblick auf Rembrandt und ein Ausblick auf Domenico Tiepolo und auf die Anfänge Goyas mögen andeuten, daß Druckgraphik stets ein Medium der Begegnung zwischen Künstlern über Zeiten und Grenzen hinweg gewesen ist, zugleich ein Mittel zum Wettstreit der Ideen und der technischen Meisterschaft.