Böhmen liegt am Meer

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Die Erfindung der Landschaft 1600

Im 16. Jahrhundert wurde die Landschaft zu einem selbständigen Thema in der niederländischen Malerei·. Bergketten, Wiesen und Wälder bildeten nicht mehr nur den Hintergrund in Gemälden, ihnen galt das eigentliche Interesse der Künstler. Auf ihren Reisen über die Alpen nach Italien, nach Böhmen oder Tirol fertigten sie Zeichnungen nach der Natur an, in denen sie das individuelle »gezicht« der Landschaft festzuhalten versuchten. Dennoch sind die Gemälde mehr als eine Summe von Einzelstudien, sie sind Konstruktionen, die unsere Vorstellung von Landschaft bis heute geprägt haben.Die Poesie der Landschaft
In der 1611 uraufgeführten Romanze »Das Wintermärchen« von William Shakespeare landeten mehrere Schiffe an der Küste Böhmens - eine Gegend mit zahlreichen entlegenen Orten, die für ihre Raubtiere berüchtigt ist, die aber auch als schön beschrieben wird. Ein Blick auf die Karte »Germania« von Abraham Ortelius hätte genügt, sich über die genaue Lage Böhmens Gewißheit zu verschaffen. Im Zentrum Mitteleuropas ist ein Meeresufer weit und breit nicht zu entdecken.

Mir der selben künstlerischen Gewißheit wie Shakespeare ließ der Maler Adam Willaerts wenige Jahre später in seinem Gemälde »Wildziegenjagd an der Küste« die Felsen Böhmens steil aus dem Meer ragen. Der in Utrecht tätige Willaerts verwendete in seiner Komposition die Felsstudien des Malers Roelant Savery, die dieser von seinen Reisen nach Böhmen und Tirol in die Niederlande mitgebracht hatte.
»Spielt die Komödien, die lachen machen/ Und die zum Weinen sind« heißt es in dem Gedicht »Böhmen liegt am Meer« von Ingeborg Bachmann, das sich unmittelbar auf Shakespeares Romanze bezieht. Dieses Gedicht, so Bachmann, »ist gerichtet an alle Menschen, weil es das Land ihrer Hoffnung ist, das sie nicht erreichen werden.«

In der Ausstellung steht der Titel »Böhmen liegt am Meer« für den fiktiven Gehalt der so realistisch anmutenden Landschaftsgemälde aus den Jahren 1560 - bis 1620, aber auch für deren poetische Kraft. In der Zeit der militärischen und religiösen Auseinandersetzungen,  der Bilderstürme und Naturzerstörung entwarfen die Künstler eine Vorstellung von einer befriedeten Natur, die häufig auch ein Ort der göttlichen Offenbarung war. Die Gemälde stellten ein Land der Verheißung dar, das in Wirklichkeit - wie Ingeborg Bachmanns »Böhmen« - unerreichbar war, es sei denn, der Betrachter durchwanderte  die Wald- und Hügellandschaft in seiner Phantasie.