Kaum ein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat sich selbst so oft im Portrait dargestellt wie Horst Janssen. Seine Selbstbildnisse sind Inszenierungen des eigenen Ichs, in denen er das Maskenspiel mit dem eigenen Gesicht bewusst eingesetzt hat: »Den größten Effekt erreiche ich aber mit den Selbstbildnissen. Einmal, weil diese Disziplin heutzutage wenig oder gar nicht gepflegt wird, zum anderen, weil eine komödiantische Veranlagung mich in den Stand setzt, mir mein Gesicht nach Bedarf ganz überzeugend mal heiter-jung, mal melancholisch, mal wild und ein anderes Mal wild-verwüstet-aufgeschwemmt und geradezu aufregend erscheinen zu lassen. Meine zeichnerische Fertigkeit, das jeweilige Spiegelbild sehr genau, aber mit der so außerordentlich wichtigen Untertreibung zu konterfeien, liefert dann den Eindruck der vom Publikum so begehrten Ehrlichkeit«, schrieb Horst Janssen 1970 in seinen Betrachtungen zur Landschaft. Dabei bedient sich Janssen durchaus traditioneller Stilmittel. So zeigen viele der von ihm als »Selbst« bezeichneten Portraits in der Komposition deutliche Verwandtschaft mit Rembrandts Selbstdarstellungen, sowohl in der Pose als auch in der verschatteten Gesichtshälfte.
Das Janssen-Kabinett der Hamburger Kunsthalle zeigt parallel zur großen Janssen-Ausstellung »Meisterzeichnungen« in der Kuppel (8. Oktober 2004 - 16. Januar 2005) 50 druckgraphische Selbstportraits aus den Jahren 1965-1985. Ausgehend von den ersten Selbstbildnissen von 1965, in denen Janssen die eigene Verletzlichkeit noch in den feingestrichelten Radierungen paraphrasiert, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung bei den Radierungen der siebziger Jahre. In den Selbstbildnissen dieser Zeit spiegelt sich die intensive Begegnung mit der Natur, sie werden selbst zu Landschaften. So in dem Radierzyklus »Hannos Tod« (1972) mit 23 Selbstportraits, in denen er das eigene Gesicht einer ständigen Metamorphose unterzieht.
Frei von jeglicher Inszenierung sind dagegen die Selbstportraits aus der Mitte der siebziger Jahre. Es sind photographische Portraits, die das Gesicht nicht mehr in schauspielerischer Verzerrung, sondern in scheinbar realistischer Haltung erfassen. Durch die Bekanntschaft mit Birgit Jacobsen hatte Janssen sich noch intensiver mit der Photographie beschäftigt. Der kontrollierende Blick durch die Kamera beeinflusste die eigene Darstellung in hohem Maße. Die Selbstbildnisse zeigen den Künstler in argwöhnischer Wachsamkeit gegenüber dem eigenen Spiegelbild. Dennoch wirken die Gesten fast scheu, zurückhaltend und vermitteln beim Betrachter, wie Wolfgang Hildesheimer es treffend formuliert hat, »einen Anflug des Gefühls von Mitschuld an solcher Verstörung«.